Verfall und Verjährung von Urlaubsansprüchen

Das BAG hat in zwei am 20.12.2022 verkündeten Urteilen (Az. 9 AZR 245/19 und 9 AZR 266/20) zum Verfall von Urlaubsansprüchen bei langanhaltender Arbeitsunfähigkeit und zur Verjährung von Urlaubsansprüchen entschieden. Beide Entscheidungen folgen im Ergebnis den Vorgaben des EuGH.

Verfall von Urlaub bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit von Arbeitnehmern:

In diesem Rechtsstreit – 9 AZR 245/19 – hat das BAG entschieden, dass der bestehende Urlaubsan-spruch nur dann nach Ablauf des Übertragungszeitraums von 15 Monaten erlischt, wenn der Arbeit-geber seine Mitwirkungs- und Hinweispflichten erfüllt hat. Tut er dies nicht, obwohl er hierzu die Möglichkeit hatte, da der Arbeitnehmer nicht das vollständige Urlaubsjahr erkrankt war, so bleibt der Urlaubsanspruch weiterhin bestehen.

Im vorliegenden Fall konnte der klagende schwerbehinderte Arbeitnehmer in der Zeit vom 01.12.2014 bis August 2019 wegen einer vollen Erwerbsminderung seine Arbeitsleistung nicht erbringen und aus gesundheitlichen Grüßen seinen Urlaub nicht nehmen. In seiner Klage hat er auch den Resturlaub aus 2014 geltend gemacht, da er der Auffassung ist, dass dieser nicht verfallen sein kann, da die Beklagte ihrer Mitwirkungsobliegenheit nicht nachgekommen ist.

Das BAG unterscheidet hier bezüglich der Mitwirkungsobliegenheit zwischen zwei Konstellationen:

In Fällen, in denen der Arbeitnehmer durchgehend seit Beginn des Urlaubsjahres bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen gehindert war, den Urlaub zu nehmen, verfällt der Urlaubsanspruch auch weiterhin mit Ablauf der bekannten 15-Monatsfrist. Begründung: Es kommt hier nicht darauf an, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist, weil auch der Hinweis nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs hätte beitragen können.

Anders verhält es sich jedoch, wenn der Arbeitnehmer – wie vorliegend der Kläger – im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig wird. In dieser Fallkonstellation setzt der Verfall des Urlaubsanspruchs regelmäßig voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen.

 

Verjährung von Urlaubsansprüchen und unterlassenem Arbeitgeberhinweis:

In seinem zweiten Urteil – 9 AZR 266/20 – vom selben Tag hat das BAG weiterhin zum Thema Urlaub entschieden, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch der gesetzlichen Verjährung unterliegt und die dreijährige Verjährungsfrist am Ende des Kalenderjahres beginnt, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeit-nehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallsfristen belehrt hat.

In diesem Verfahren hat die Klägerin, die vom 01.11.1996 bis zum 31.07.2017 bei dem Beklagten tätig war, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Abgeltung von Urlaub im Umfang von 101 Arbeits-tagen aus den Vorjahren geltend gemacht. Die Vorinstanz sprach der Arbeitnehmerin bereits Entgelt für 76 Urlaubstage zu.

Da der Arbeitgeber seiner Hinweispflicht hier nicht nachgekommen ist und die Arbeitnehmerin dadurch nicht in die Lage versetzt hat, ihren Urlaub zu nehmen, sind die Ansprüche laut des BAG weder am Ende des Kalenderjahres noch eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen, noch kann der Arbeitgeber mit Erfolg einwenden, dass der nicht gewährte Urlaub nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist verfallen ist.

Der Senat hat auch mit dieser Entscheidung die Vorgaben des EuGH umgesetzt. Nach dessen Recht-sprechung überwiegt der Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer den Zweck der Verjährungsvor-schriften, nämlich die Gewährung von Rechtssicherheit. Die Rechtssicherheit kann der Arbeitgeber vielmehr selbst herstellen, wenn er seine Hinweisobliegenheiten erfüllt.

Bewertung

Auch wenn man die Sinnhaftigkeit der Hinweispflicht bezweifeln möchte, so zeigen dennoch beide Entscheidungen, dass der Arbeitgeber diese ernst- und wahrnehmen muss und seine Arbeitnehmer auf nicht genommenen Urlaub und dessen Verfalls- oder Verjährungszeitpunkt aufmerksam machen sollte.

Der Zugang dieses Hinweises sollte aus Gründen der Nachweisbarkeit schriftlich an den jeweiligen Ar-beitnehmer ergehen und konkret mit der Anzahl der Urlaubstage sowie dem Zeitpunkt des Erlöschens versehen sein.

Die sicherlich berechtigten Einwände hinsichtlich des hierdurch entstehenden nicht unerheblichen Verwaltungsaufwands sind leider hinzunehmen, wenn man Rechtssicherheit erlangen möchte.

Da sich eine Langzeiterkrankung des Arbeitnehmers nicht voraussehen lässt, kann der Arbeitgeber den hier gesetzten Anforderungen nur durch einen oder mehrere vorsorgliche Hinweise zum Jahresbeginn oder im Verlauf des Urlaubsjahres gerecht werden. Es ist unverzichtbar, den langzeiterkrankten Arbeitnehmer auch bei Rückkehr auf den noch nicht verfallenen Urlaub hinzuweisen.

 

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