LLAG Köln – Urteil vom 20.01.2023 – 9 TaBV 33/22
Für einen Anspruch des Betriebsrates auf zukünftige Entgeltzahlung an seine Mitglieder bietet § 78 Satz 1 BetrVG keine geeignete Anspruchsgrundlage. Bei gegenwärtig noch fortdauernden widerrechtlichen Behinderungen kann ein Betriebsrat nur deren Beseitigung verlangen.
Sachverhalt
Die Arbeitgeberin hat mehreren Betriebsratsmitgliedern keine Vergütung für Arbeitstage gezahlt, an denen diese nach deren Behauptung von zuhause aus per Videokonferenz an Betriebsratssitzungen teilgenommen oder andere Betriebsratstätigkeiten verrichtet haben. Der Betriebsrat hat beantragt, die Arbeitgeberin zu verpflichten, derartige Vergütungskürzungen zu unterlassen. Das ArbG hat den Antrag zurückgewiesen.
Entscheidung
Das LAG Köln hat die Beschwerde des Betriebsrats mit Urteil vom 20.01.2023 zurückgewiesen. Zwar seien die Anträge hinreichend bestimmt, i. S. v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, obwohl die Unterlassung jedweder Gehaltsabzüge wegen der Teilnahme an Betriebsratssitzungen begehrt werde. Damit handele es sich um einen sog. „Globalantrag“, der eine Vielzahl künftig möglicher Fallgestaltungen erfasse. Dies stehe der Bestimmtheit des Antrags aber nicht entgegen, sondern sei im Rahmen seiner Begründetheit zu beachten. Der Antrag sei unbegründet, da ein Gehaltsabzug, der wegen der Teilnahme an einer Betriebsratssitzung erfolgt, nicht in allen Fallgestaltungen rechtswidrig sei. Denn nach § 37 Abs. 2 BetrVG seien Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit nur insoweit befreit, als diese zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Gegenstand der Erforderlichkeitsprüfung sei nicht nur die Notwendigkeit der zu verrichtenden Betriebsratsarbeit, sondern auch, ob diese Betriebsratsarbeit die Nichtleistung der beruflichen Tätigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt erforderlich macht. Grundsätzlich seien dabei die Dringlichkeit der beruflichen Tätigkeit und der Verrichtung von Betriebsratsarbeit gegeneinander abzuwägen. Dies gelte auch für die Teilnahme an Betriebsratssitzungen. Wenn dort keine wichtigen oder keine sonstigen Fragen zu behandeln seien, welche die Teilnahme gerade dieses Betriebsratsmitglieds erfordern, könne es durchaus sachgerecht sein, das Betriebsratsmitglied bei einer betrieblichen Unabkömmlichkeit als an der Teilnahme verhindert anzusehen, so dass an seiner Stelle ein Ersatzmitglied an der Betriebsratssitzung teilnimmt. Soweit der Betriebsrat mit seinen weiteren Anträgen nur die Unterlassung von Gehaltsabzügen im Falle erforderlicher Betriebsratsarbeit begehre, sei der Antrag ebenfalls unbegründet. Ein entsprechender Anspruch ergebe sich weder aus §23 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG noch aus § 78 Satz 1 BetrVG. Ein Unterlassungsanspruch aus § 23 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG scheide hier schon deswegen aus, weil selbst dann, wenn objektiv erforderliche Betriebsratstätigkeiten ausgeübt worden sein sollten, kein grober Verstoß der Arbeitgeberin gegen ihre sich aus dem BetrVG ergebenden Pflichten feststellen ließe. Denn diese habe lediglich Zeiten nicht vergütet, an denen nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder nicht gearbeitet hatten, und in diesem Zusammenhang bestritten, dass diese stattdessen erforderliche Betriebsratsarbeit geleistet haben. Streitpunkte seien damit ungeklärte Tatsachen und nicht ohne Weiteres zu beantwortende Rechtsfragen. Die Verteidigung einer Rechtsposition in ungeklärten Tatsachen- und Rechtsfragen stelle aber keinen groben Pflichtverstoß des Arbeitgebers dar. Ein Anspruch des Betriebsrates auf Unterlassung von Entgeltabzügen ergebe sich auch nicht aus § 78 Satz 1 BetrVG. Zwar stehe dem Betriebsrat bei einer Störung oder Behinderung seiner Arbeit durch den Arbeitgeber ein Unterlassungsanspruch zu, denn dieser sei entgegen dem Wortlaut der Vorschrift, wonach allein die „Mitglieder“ in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden dürfen, auch als Gremium vom Schutz der Norm erfasst. Vorliegend hätten die Anträge des Betriebsrates allerdings tatsächlich keine Unterlassung zum Gegenstand. Mit diesen mache der Betriebsrat nicht das Verbot einer als rechtswidrig angegriffenen Verhaltensweise mit dem Ziel der Abwehr künftiger Beeinträchtigungen geltend, wie dies für einen Anspruch auf vorbeugende Unterlassung kennzeichnend sei. Vielmehr begehre er die Unterlassung der Unterlassung von Entgeltzahlungen und sei damit sein Verlangen in Wirklichkeit auf ein zukünftiges Handeln der Arbeitgeberin, nämlich die Zahlung von Arbeitsentgelt, gerichtet. Für einen Anspruch des Betriebsrates auf zukünftige Entgeltzahlung an seine Mitglieder biete § 78 Satz 1 BetrVG aber keine geeignete Anspruchsgrundlage. Der Anspruch erstrecke sich allein auf die Beseitigung eines bereits bestehenden betriebsverfassungswidrigen Zustands einschließlich der Beeinträchtigungen, die durch die primäre Störung entstehen. Dem Betriebsrat gehe es im vorliegenden Fall jedoch um Verhinderung eines künftigen Verhaltens der Arbeitgeberin.
Praxishinweis
Die Ausführungen des LAG zu sog. Globalanträgen und zur Erforderlichkeit von Betriebsratssitzungen entsprechen der einschlägigen Rechtsprechung des BAG. Zuzustimmen ist der Entscheidung auch, soweit sie den Anwendungsbereich von § 78 Satz 1 BetrVG richtigerweise beschränkt und damit der Geltendmachung von Ansprüchen wegen vermeintlicher Behinderung der Betriebsratstätigkeit angemessene Grenzen setzt.
Quelle: VBF Nord