Herbstgutachten 2023 der Wirtschaftsforschungsinstitute

Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihr Herbstgutachten mit dem Titel „Kaufkraft kehrt zurück – Politische Unsicherheit hoch“ vorgelegt. Darin schätzen sie die wirtschaftlichen Perspektiven deutlich schlechter ein als noch im Frühjahr und erwarten, dass sich die Erholung von Produktion und Konsum verzögert. Für 2023 wird ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Höhe von real -0,6 % prognostiziert; im Frühjahr war noch ein Plus von 0,3 % erwartet worden. 2024 und 2025 dürfte das BIP dann um real +1,3 % bzw. +1,5 % wachsen. Dabei verläuft aktuell insbesondere die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe schwach. So hat die energieintensive Industrie ihre Produktion gedrosselt, und die Automobilindustrie verzeichnet Materialengpässe. Ab Ende 2023 rechnen die Institute mit einer Erholung der Industrieproduktion.

  • Die Binnennachfrage ist 2023 noch schwach, stabilisiert sich aber im Prognosezeitraum. Der private Konsum wird sich angesichts der Inflation zunächst weiter abschwächen (2023: -0,5 %), in den Folgejahren sind aber angesichts der zu erwartenden realen Kaufkraftsteigerung wieder moderate Zuwächse zu erwarten. Der staatliche Konsum ist nach der expansiven Phase der letzten Jahre 2023 ebenfalls rückläufig (-2,5 %) und wird dann wieder leicht zulegen. Die Investitionen in Ausrüstungen nehmen durchgängig zu (2023: +2,8 %, 2024: +1,4 %, 2025: +3,4 %), auch getrieben durch erhöhte Investitionen der öffentlichen Hand. Allerdings relativiert sich der An-stieg vor dem Hintergrund der erheblichen Rückgänge in der Vergangenheit.

 

  • Der Außenhandel entwickelt sich vor dem Hintergrund der weltwirtschaftlichen Schwäche verhalten. Für Exporte und Importe werden 2023 leichte Rückgänge (-1,0 % bzw. -1,4 %) sowie ab 2024 moderate Wachstumsraten erwartet.

 

  • Nach dem kräftigen Preisauftrieb der Vergangenheit gehen die Institute davon aus, dass sich die Verbraucherpreise im Prognosezeitraum zunehmend stabilisieren. Nach einem deutlichen Anstieg um +6,1 % im laufenden Jahr ist für 2024 und 2025 eine deutliche Abschwächung der Preisdynamik auf +2,6 % bzw. +1,9 % zu erwarten. Mit dem nachlassenden Inflationsdruck wird sich auch die Entwicklung der Tarifverdienste normalisieren: Nach +4,2 % 2023 und +4,4 % 2024 ist 2025 ein Rückgang auf +3,0 % zu erwarten.

 

  • Die Lage am Arbeitsmarkt bleibt trotz der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung recht gut. Die Zahl der Erwerbstätigen dürfte 2023 und 2024 noch einmal leicht zunehmen, allerdings ab 2025 trotz hoher Zuwanderung demografisch bedingt zurückgehen. Gleichzeitig wird für 2023 ein leichter Anstieg der Zahl der Arbeitslosen um gut 170.000 auf 2,59 Mio. erwartet (Arbeitslosenquote: 5,6 %, +0,3 Prozentpunkte), wobei 2025 wiederum ein Rückgang erfolgt.

 

  • Für die Baukonjunktur sind die Institute unter dem Titel „Zinswende: Wohnungsbau in Schockstarre“ pessimistisch:

„Das Baugewerbe kommt zunehmend in schweres Fahrwasser. Bereits seit Beginn des Jahres 2021 waren starke Rückgänge der Bauinvestitionen zu beobachten, die zunächst durch Material- und Personalengpässe begründet waren. Bei zunächst noch kräftiger Nachfrage explodierten die Baupreise, die nun aber nicht mehr zu den deutlich verschärften Finanzierungsbedingungen passen. In der ersten Jahreshälfte zogen die Bauinvestitionen dennoch spürbar an, wobei nicht zuletzt der hohe Auftragsbestand in allen Bausparten und eine günstige Witterung noch stützend gewirkt haben dürften.

Im zweiten Quartal legten die Bauinvestitionen mit 0,2 % noch einmal leicht zu. Neben dem hohen Auftragsbestand dürfte dies insbesondere der stabilen Produktion im Tiefbau zu verdanken gewesen sein: Der Zuwachs wurde hauptsächlich vom Wirtschaftsbau getragen, der um 2,0 % ausgeweitet wurde, während der öffentliche Bau um 2,6 % zurückging. Der Wohnungsbau stagnierte.

Im dritten Quartal 2023 dürften die Bauinvestitionen über alle Sparten hinweg zurückgegangen sein. Zwar wurde die Produktion im Juli noch ausgeweitet, das recht hohe Niveau dürfte jedoch nicht aufrechterhalten werden können. So berichtet inzwischen jedes dritte Unternehmen in Umfragen von einem Auftragsmangel. Die Geräteauslastung im Bauhauptgewerbe ging zuletzt deutlich zurück und die Einschätzung der Geschäftslage ist seit Beginn des Jahres auf Talfahrt. Grund dafür dürften vor allem die aktuell hohen Zinsen sein, welche die Investitionen ausbremsen. Insgesamt erwarten die Institute für das laufende Quartal einen Rückgang der Bauinvestitionen um 1,1 %.

Im Wohnungsbau kommt die Zinswende besonders zum Tragen – die Vergabe von Krediten für neue Wohnbauten verharrt seit ihrem historisch starken Rückgang im vergangenen Jahr auf einem sehr niedrigen Niveau: Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt liegt das Neukreditvolumen derzeit auf dem geringsten Wert seit Beginn der statistischen Erhebung im Jahr 2003. Entsprechend sanken die Auftragseingänge seit Jahresbeginn 2022 deutlich und konnten sich auch am aktuellen Rand kaum erholen. Die Baugenehmigungen gingen ebenfalls rasant zurück. Der sehr hohe Auftragsbestand ist aufgrund von Stornierungen und ausbleibenden Neuaufträgen zuletzt merklich geschrumpft. Diese Entwicklung dürfte sich in diesem und den kommenden Quartalen verstärkt niederschlagen, sodass die Wohnungsbauinvestitionen bis in das nächste Jahr hinein wohl deutlich zurückgehen werden. Großzügigere Abschreibungsregeln sowie die Tatsache, dass Neubauten nur etwa ein Drittel der Wohnungsbauinvestitionen ausmachen und energetische Sanierungen zunehmend an Bedeutung gewinnen, dürften allerdings den Rückgang verringern. Erst im Laufe des kommenden Jahres dürften sinkende Preise in Kombination mit steigenden Realeinkommen die Finanzierbarkeit von Wohnbau-vorhaben verbessern und, in Kombination mit dem ungebrochen hohen Bedarf an Wohnraum, zum Jahresende für eine leicht positive Dynamik sorgen. Mit einem deutlichen Anstieg der Wohnungsbauinvestitionen ist im Prognosezeitraum allerdings nicht zu rechnen.

Im Nichtwohnungsbau ist die konjunkturelle Lage weniger kritisch. Sie wird dabei insbesondere vom Tiefbau (ohne Straßenbau) gestützt. Hier wurden zuletzt robuste Auftragseingänge und ein steigen-der Auftragsbestand verzeichnet. Anders als die Auslastung im Hochbau hält sich die Geräteauslastung im Tiefbau laut ifo Umfragen seit Beginn des Jahres auf konstant hohem Niveau. Auch die Stimmungsindikatoren zeigen ein vorsichtig optimistisches Bild: Der Einkaufsmanagerindex ist im Nicht-wohnungshochbau und im Tiefbau am aktuellen Rand aufwärtsgerichtet. Zwar dürften auch hier die hohen Zinsen in diesem Jahr die Bautätigkeit im Nichtwohnungsbau sinken lassen. Aufgrund sinken-der Preise und dem hohen Investitionsbedarf dürften die Investitionen in Nichtwohnbauten jedoch im Prognoseverlauf wieder etwas an Dynamik gewinnen. Im kommenden Jahr sind insbesondere von der öffentlichen Hand positive Impulse zu erwarten, da sinkende Preise den öffentlichen Auftraggebern größere Projekte, z. B. in den Bereichen Digitalisierung und energetische Sanierung erlauben. Der Wirtschaftsbau dürfte langsamer anziehen und erst mit zunehmender konjunktureller Erholung im Jahr 2025 deutlicher zulegen.

Während in den vergangenen Jahren hohe Materialpreise, ausgelastete Baukapazitäten und eine starke Nachfrage zu enormen Preisanstiegen geführt hatten, schwächte sich der Baupreisauftrieb zuletzt ab. Diese Entwicklung dürfte sich im aktuellen Quartal fortsetzten. Zum Ende des Jahres ist dann sogar mit sinkenden Preisen zu rechnen. Darauf lassen die Preiserwartungen der Bauunter-nehmen schließen, die bereits seit einigen Monaten negativ sind und Preissenkungen andeuten. Sinkende Materialpreise sowie der Nachfrageeinbruch werden die Bauunternehmen wohl dazu bewegen, ihre Preise auch auf Kosten der zuletzt hohen Margen abzusenken. Fallende Preise zum Jahres-ende und im kommenden Jahr dürften ihrerseits die Nachfrage wieder stimulieren und so Raum für leichte Preisanstiege im Jahr 2025 schaffen. Für diesen Zeitraum werden außerdem neue Lohnabschlüsse erwartet, die aufgrund des Fachkräftemangels kräftig ausfallen dürften. Nichtsdestotrotz wird die Baupreisentwicklung im Prognosezeitraum wohl schwach bleiben.

Insgesamt erwarten die Institute, dass die Bauinvestitionen in diesem Jahr um 1,4 % und im nächsten Jahr um 2,1 % zurückgehen. 2025 dürften sie dann um 0,9 % ausgeweitet werden.“

Die schwachen Erwartungen für den Wohnungsbau erscheinen ebenso realistisch wie die etwas bessere Prognose für den Tiefbau und den Nichtwohn-Hochbau. Die Schätzung über 2024 hinaus ist angesichts der aktuellen Lage höchst unsicher. Hier wird es insbesondere auf die Wirksamkeit der von der Bundesregierung vorgestellten konjunkturstützenden Maßnahmen ankommen.

 

Das vollständige Gutachten finden Sie unter diesem Link.

 

Quelle: VBF Nord

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